Du betrachtest gerade Im Krankenhaus (2): Schulungen & Wochenende auf Probe

Im Krankenhaus (2): Schulungen & Wochenende auf Probe

  • Beitrags-Autor:
  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrags-Kommentare:0 Kommentare

Schulungen, Mahlzeiten & Krankenhaus-Alltag

Die neue Woche beginnt mit vielen Terminen und festen Krankenhaus-Strukturen. Abwechselnd haben wir vormittags Schulungen zum Thema Diabetes oder Ernährung. Begriffe wie Ketoazidose, Hyperglykämie, Hypoglykämie, Insulinlagerung, Blutzuckeranstieg, Insulinwirkdauer, etc. schwirren in unseren Köpfen umher. Zum Glück gibt es zu den Themen ein Handout, auf dem die wichtigsten Infos zusammengefasst sind.

Ebenfalls muss ein Handy organisiert werden, auf dem später die App läuft, die Pumpe und Glukosesensor verbinden soll. Zum Glück übernimmt hier mein Mann die Auswahl des Handys, denn hier müssen Kompatibilität für die App und Komfort beim Tragen für unsere Tochter berücksichtigt werden.

Zusätzlich finden Termine mit dem Psychologen und dem Sozialdienst statt, um die Anträge für den Pflegegrad und den Schwerbehindertenausweis zu stellen.

Den Rest des Tages bestimmen die Mahlzeiten, die 6x täglich stattfinden und immer nach dem gleichen Schema ablaufen. Wir lernen selber über den Finger Blutzucker zu messen, versuchen uns zu merken welche Lebensmittel mit welchem Faktor berechnet werden, berechnen die Insulinmenge anhand des Insulinpumpenplans und üben die Werte in die Pumpe einzugeben. Die kleine Qualle sucht sich essen aus, wir rechnen und merken uns die Uhrzeit, um den Spritz-Ess-Abstand von mindestens 10 Minuten einzuhalten. Alles immer noch ganz schön viel, was wir beim Essen beachten sollen, aber es wird langsam besser.

Gegenwehr beim Katheterwechsel

Alle zwei Tage stehen die Katheterwechsel an. Wir hören uns Infos zu verschiedenen Katheterarten und Schlauchlängen an und lernen die Stellen kennen, die zum Setzen gut geeignet sind. Abwechselnd üben wir immer wieder die Handgriffe für das Wechseln des Insulins, das Befüllen des Schlauchs und das Setzen der Stechhilfe.

Bisher hatte das Wechseln des Katheters immer gut funktioniert, auch wenn die Anspannung der keinen Qualle beim Ansetzen der Stechhilfe jedesmal spürbar war. Bei einem der letzten Katheterwechsel will sich die Qualle dann den Katheter absolut nicht setzen lassen. Sie windet und wehrt sich, weint und versucht ihr Bein immer wieder wegzuziehen. Wissend, dass der Wechsel aber dennoch erledigt werden muss, hält mein Mann die kleine Qualle fest, gemeinsam mit der Krankenschwester. Schnell setze ich die Stechhilfe an und setze den Katheter. Dann muss ich mich umdrehen, um meine Tränen zu verstecken. Gerade haben wir unserer kleinen Tochter gegen ihren Willen den Katheter gewechselt. Das tut mir im Herzen weh. Wieder einmal ist es die Krankenschwester, die uns auch in der ersten Nacht sehr geholfen hat, die mir auch diesmal wieder Mut zuspricht. Sie lobt uns und erklärt, dass es meist in dem Alter unserer kleinen Qualle besser ist, es schnell hinter sich zu bringen als lange zu diskutieren.

Hinterher recherchiere ich viel im Internet, da mich die Situation sehr beschäftigt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir in der kommenden Woche zuhause den Katheter nur zu zweit wechseln sollen. Es war ja schon zu dritt schwierig genug. Und wie soll das langfristig zuhause funktionieren, wenn die kleine Qualle nicht mitmacht oder sogar Angst vor dem Setzen hat? Läuft sie dann schon vor uns Eltern weg oder versteckt sich vor uns, wenn es darum geht ihre Katheter-Qualle zu wechseln? Für das Vertrauen zwischen Eltern und Kind stelle ich mir solche Situationen nicht gut vor…

Im Forum der Diabetes-kids.de lese ich am Abend von der Emla Salbe und frage am nächsten Tag die Krankenschwester, ob das nicht eine gute Methode wäre. Sie verneinte, weil es einen Gewöhnungseffekt gäbe und man die Salbe auch nicht immer dabei hat, wenn es mal schnell gehen muss. Hmpf…. die Antwort muss ich erstmal sacken lassen, denn es würde ja vermutlich auf einen Machtkampf alle 2-3 Tage hinauslaufen. Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen und wieder viel im Internet recherchiert habe, entscheide ich mich aber dann doch für die Salbe. Und dafür, dass mir die Beziehung zu meiner Tochter wichtiger ist als ein möglicher Gewöhnungseffekt oder die Tatsache, dass in Ausnahmesituationen die Salbe mal nicht verfügbar ist. Zumindest am Anfang möchten wir unserer Tochter die Angst vor dem Kathetersetzen nehmen.

Inhaltlich sowie mental fordert diese Woche wieder vieles ab. Ich frage mich immer wieder, wie wir das alles im Alltag schaffen sollen? Die Flut an „Diabetes“-Aufgaben, die wir täglich erledigen sollen & die vielen Infos, die zu berücksichtigen sind, überfordern mich.

Wie sollen wir das alles im Alltag schaffen?
Die Flut an „Diabetes“-Aufgaben und die vielen Infos, die zu berücksichtigen sind, überfordern mich.

Probe-Wochenende zu Hause

So vergeht die erste Woche auf der Station und langsam werden wir sicherer, verstehen, was da eigentlich gemacht wird und wieso.

Dann erhalten wir die Info, dass wir für ein Probe-Wochenende nach Hause fahren dürfen. Einerseits freuen wir uns aus den starren und langweiligen Strukturen des Krankenhauses entfliehen zu können, andererseits ist da ein riesiger Respekt vor der Aufgabe und der alleinigen Verantwortung zuhause.

Und so fahren wir mit gemischten Gefühlen am Samstagmittag nach Hause und verbringen dort einen gemütlichen Tag ohne große Aktion. Die kleine Qualle freut sich so über ihre Spielzeuge und Kuscheltiere, dass sie eigentlich direkt in ihrem Zimmer verschwindet und dort den ganzen Nachmittag beschäftigt ist. Währenddessen planen wir Erwachsenen unser Abendessen, schneiden Gemüse als Zwischensnack und folgen den Strukturen und Zeiten im Krankenhaus. Zum Abendessen gibt es wie im Krankenhaus Vollkornbrot. Alles klappt bestens, die Werte sind gut. Mit einem guten Gefühl, fahren wir zurück, sodass wir gegen 20.00 Uhr wieder zurück auf der Station sind. Dort messen wir das letzte Mal an dem Tag den Blutzucker und es gibt den obligatorischen zuckerfreien Wackelpudding, ohne den die kleine Qualle im Krankenhaus nicht mehr schlafen geht.

Der Gnocci-Vorfall

Am Sonntag dürfen wir bereits nach dem Frühstück nach Hause fahren. Somit steht auch das erste Mittagessen auf dem Plan. Ganz euphorisch fragen wir unsere Tochter, was sie sich zum Mittagessen wünscht. Die Antwort lautet: Gnocci.

Gewissenhaft wiegen wir die Gnocci vor dem Essen ab, bereiten Gemüse als Beilage vor und bieten vor dem Essen noch den Rohkostteller an, damit wir unserer kleinen Qualle, wie im Krankenhaus gelernt, eine gesunde und ausgewogene Mahlzeit anbieten können.

Aber bereits beim Abwiegen der Gnocci wird klar, dass die Menge der pro Hauptmahlzeit empfohlenen Kohlenhydrate schnell überschritten ist. Wir lassen sie etwas mehr essen als vorgegeben, geben aber dafür auch die entsprechend höhere Menge Insulin. Damit sollte doch in der Theorie alles passen, schließlich heißt es ja, dass Insulin muss zum Essen passen.

Stunden später fragen wir uns allerdings wieso der Wert immer noch so hoch ist. Gehen in Gedanken immer wieder durch, ob wir richtig abgewogen haben oder wir uns ggf. verrechnet haben. Doch uns fällt kein Fehler auf.

Zum Abendessen können wir nach einem langen Spritz-Ess-Abstand endlich essen und fahren mit vielen Fragezeichen wieder zurück ins Krankenhaus. Dort besprechen wir das Thema mit den Schwestern vor Ort, alle bleiben gelassen und die Rückmeldung ist nach dem Motto „kann ja mal vorkommen“. Das tut einerseits gut, auf der anderen Seite, möchten wir gern wissen, wie wir so etwas in Zukunft vermeiden können. Gefühlt hat jeder dazu eine andere Meinung: zu viele Kohlenhydrate, Kartoffel-Mehl-Gemisch geht schnell ins Blut , vielleicht doch verrechnet etc.

Auch in der kommenden Ernährungsberatung besprechen wir das Thema Gnocci. Auch hier ist die Aussage, dass die Gramm Kohlenhydrate für eine Portion deutlich zu hoch war und dass die Zusammensetzung der Gnocci aufgrund des hellen Mehls und der gestampften Kartoffeln schnell verstoffwechselt wird und so die hohen Werte verursacht hat. Aus dem Grund gebe es auf der Diabetes-Station wohl auch keine Gnocci mehr, denn die gleiche Erfahrung haben sie mit den Patienten vor Ort auch gemacht. Die Aussage holt mich in die Diabetes-Realität zurück. Es kann ja keineswegs die Rede sein von „Sie kann alles essen, was sie möchte“, wenn ein Teller voll Gnocci den Blutzucker dermaßen ansteigen lässt, dass wir nur mit deutlicher Verzögerung und zwei zugedrückten Augen überhaupt Abendessen können. Gefrustet gehen wir ins Bett.

Unser Gnocci-Vorfall machte wohl unter dem Personal der Diabetes-Station die Runde. 🙂 Jedenfalls gesellt sich bei unserer nächsten Ernährungsberatung eine neue Kollegin dazu, die noch eine sehr wichtige Entdeckung zum Thema Gnocci, quasi im Eigenversuch, gemacht hat. Inspiriert von unserem Mittagessen am Vortag, hatte sie sich am Abend ebenfalls Gnocci zubereitet. Und sie hatte diese vor und nach dem Braten in der Pfanne gewogen. Sie kam zu der Erkenntnis, dass die Gnocci durch das Braten an Gewicht verloren. Eigentlich nicht verwunderlich, dennoch ist niemand sonst auf die Idee gekommen. Mein Mann hatte vor dem Braten die Gnocci-Menge für unsere kleine Qualle abgewogen, um den Bolus berechnen zu können. Und er hat nach dem Braten dann die gleiche Menge für sie abgewogen. Es waren also in der Menge nach dem Braten mehr Kohlenhydrate enthalten als zuvor. Somit passte auch die abgegebene Insulinmenge nicht zu den abgewogenen Kohlenhydraten vor dem Braten und erklärt die langen hohen Werte.

Theorie vs. Praxis

Aus unserem Gnocci-Vorfall haben wir viel gelernt. Erstens, dass wir im Krankenhaus nur die Theorie erlernen, die Praxis im wahren Leben aber ganz anders aussehen kann. Zweitens, dass auch die Schwestern und Beraterinnern nicht alles wissen und dass das auch menschlich ist. Und drittens, dass wir nicht so schnell aufgeben dürfen, dass es viel „Versuch und Irrtum“ geben wird, bis wir unseren Weg gefunden haben.

Es wird vermutlich viel Versuch und Irrtum geben, bis wir unseren Weg gefunden haben

Den Gnocci werden wir daher auf jeden Fall noch eine zweite Chance geben. Nächstes Mal berechnen wir korrekt und schauen was passiert. Passt es dann immer noch nicht, suchen wir nach Wegen, wie wir die geliebten Gnocci unserer Qualle auf andere Weise in unseren Speiseplan integrieren können.

Vielleicht probieren wir auch erstmal eine kleinere Menge Gnocci und essen vorab eine Tomatensuppe mit keinen zu berechnenden Kohlenhydraten. Wir bleiben weiter kreativ, auch wenn das im Alltag oft mühsam ist und viel Zeit kostet.

Schreibe einen Kommentar